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Abfindung erhalten? So umgehen Sie die Sperrfrist.

1. Wann wird eine Abfindung auf das Arbeitslosengeld I angerechnet?


Eine Abfindung ist ein willkommener Ausgleich, um die finanziellen Folgen des Jobverlusts abzufedern. Dem gleichen Zweck dient auch das Arbeitslosengeld I. Wer sowohl eine Abfindung erhält als auch Arbeitslosengeld I beziehen will, sollte die Vereinbarkeit vorher genau prüfen.

Mit der „Anrechnung“ ist nicht gemeint, dass sich das Arbeitslosengeld I der Höhe nach verringert. Auch an der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes ändert sich nichts. Allerdings verschiebt sich durch die Abfindung mitunter der Zeitpunkt, ab dem Entlassene erstmals Arbeitslosengeld I beziehen können. Das bezeichnet man als Ruhenszeit.

Eine Ruhenszeit wird jedoch nicht zwingend angeordnet, wenn der Entlassene eine Abfindung erhält. Nur wenn beide (!) der folgenden Voraussetzungen erfüllt sind, müssen Betroffene mit einer Ruhenszeit rechnen:

Das Arbeitsverhältnis endet früher, als es bei einer ordentlichen Kündigung des Arbeitgebers der Fall gewesen wäre

Hier muss also hypothetisch geprüft werden, wann das Arbeitsverhältnis nach einer ordentlichen Kündigung durch den Arbeitgeber geendet hätte.


Beispiel: Arbeitnehmer A ist 20 Jahre bei einem Unternehmen beschäftigt. Als das Unternehmen in finanzielle Schwierigkeiten gerät, beschließt der Arbeitgeber Anfang März, sich von A durch einen Aufhebungsvertrag zu trennen. Zwar könnte er auch eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung aussprechen. Aufgrund der langen Betriebszugehörigkeit von A würde eine ordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis aber nach der gesetzlichen Kündigungsfrist erst sieben Monate später beenden (bei einer Kündigung im März zum 31. Oktober). Die beiden Parteien einigen sich daher auf einen Aufhebungsvertrag, der auch eine Abfindung für A vorsieht. In dem Aufhebungsvertrag ist geregelt, dass das Arbeitsverhältnis bereits mit Ablauf des März endet.


Eine Ruhenszeit droht nicht nur nach einem Aufhebungsvertrag. Auch nach einer Kündigung des Arbeitgebers kann das Arbeitsverhältnis ausnahmsweise vor Ablauf der Kündigungsfrist enden. Das ist der Fall, wenn der Arbeitnehmer sich vor Gericht oder in einem Abwicklungsvertrag auf ein früheres Ausstiegsdatum einlässt.

Es wird eine Entschädigung für die vorzeitige Entlassung gezahlt

Gemeint ist insbesondere die Abfindung. Auch bei anderen Leistungen des Arbeitgebers kann jedoch unter Umständen eine Ruhenszeit angeordnet werden, etwa bei Kranken- oder Mutterschaftsgeld, Gehalt trotz Ruhen des Arbeitsverhältnisses oder Urlaubsabgeltung.

Die Bundesagentur für Arbeit müsste im Beispiel von oben dementsprechend eine Ruhenszeit anordnen. A würde das Arbeitslosengeld I dann erst später erhalten. Spätestens ab dem 1. November ist er aber anspruchsberechtigt. Ab dann könnte er das Arbeitslosengeld I in voller Höhe und für die gesamte Bezugsdauer erhalten.


Achtung: Die Auszahlung angefallener Überstunden führt eigentlich nicht zu einer Ruhenszeit. Man sollte daher offene Lohnzahlungen nicht mit der Abfindung verrechnen. Dies kann zu einer längeren Ruhenszeit führen, da die Arbeitsagentur evtl. nicht erkennt, dass die Abfindung auch Restlohn umfasst und für die Berechnung der Ruhenszeit deshalb zu kürzen ist. Offener Restlohn sollte im Aufhebungsvertrag deshalb gesondert ausgewiesen werden.



2. Dauer der Ruhenszeit


Die Berechnung der Ruhenszeit ist kompliziert. Das Arbeitslosengeld wird grundsätzlich so lange nicht ausbezahlt, bis die Kündigungsfrist für eine ordentliche Kündigung des Arbeitgebers abgelaufen wäre. Gerechnet wird ab dem Abschluss des Aufhebungsvertrags. Die Höchstdauer beträgt ein Jahr.

Allerdings ist eine wichtige Besonderheit zu beachten, die sich zugunsten der Arbeitnehmer auswirkt. Es werden nämlich maximal 60% der Abfindung bei der Berechnung der Ruhenszeit für das Arbeitslosengeld I berücksichtigt.

Arbeitslosengeld wird ab dem Zeitpunkt gezahlt, ab dem der Entlassene 60% (o.ä.) des Abfindungsbetrags durch seinen regulären Lohn verdient hätte (wenn er weiter im Betrieb angestellt gewesen wäre).

Wie viel Prozent der Abfindung genau angerechnet werden, hängt von

der Abfindungshöhe,

dem durchschnittlichen Gehalt der letzten 12 Monate,

dem Lebensalter und

der Dauer der Betriebszugehörigkeit ab.

Im günstigsten Fall wird die Abfindung nur noch zu 25% „angerechnet“.

Vereinfacht gesagt würde bei einem 35-jährigen Arbeitnehmer mit einer Betriebszugehörigkeit von 4 Jahren die Abfindung in Höhe von 60% „angerechnet“. Hingegen würde bei einem 65-jährigen Arbeitnehmer mit einer Betriebszugehörigkeit von 45 Jahren die Abfindung nur in Höhe von 25% „angerechnet“. Der ältere Arbeitnehmer könnte aufgrund dieser Sonderregelung also bereits deutlich früher Arbeitslosengeld I beziehen – trotz einer womöglich hohen Abfindung.

Weitere Gründe können dazu führen, dass bereits früher Arbeitslosengeld ausgezahlt wird. Hätte das Arbeitsverhältnis bald ohnehin z.B. wegen einer Befristung geendet, endet spätestens zu diesem Zeitpunkt die Ruhenszeit.

Hat der Arbeitnehmer Urlaubsabgeltung erhalten, verlängert sich der Ruhenszeitraum um die Dauer des abgegoltenen Urlaubs.

Generell sollten Arbeitnehmer mit einem Anwalt für Arbeitsrecht durchrechnen, wie hoch die Anrechnung in ihrem konkreten Fall ausfallen würde. So können Betroffene einschätzen, ob sich die Abfindung für sie lohnt oder ob sie diese besser ablehnen sollten.





3. Wie kann eine Anrechnung verhindert werden?


Einfach gesprochen kommen zwei Möglichkeiten in Betracht:

Zunächst können Arbeitnehmer darauf achten, dass das Arbeitsverhältnis nicht früher als bei einer ordentlichen Kündigung des Arbeitgebers endet. Im Aufhebungsvertrag kann nämlich frei vereinbart werden, wann das Arbeitsverhältnis ausläuft. In diesem Fall würde keine Ruhenszeit von der Bundesagentur für Arbeit angeordnet.

Falls die Bundesagentur für Arbeit jedoch bereits eine Ruhenszeit angeordnet hat, müssen Betroffene diese nicht immer akzeptieren. Sie können gegen die Anordnung der Ruhenszeit Widerspruch bei der Bundesagentur für Arbeit einlegen. Aufgrund des Widerspruchs muss die Behörde ihre Entscheidung überprüfen. Dies kann dazu führen, dass die Anordnung geändert wird. Hält die Behörde in dem Widerspruchsverfahren an ihrer Anordnung fest, kann Klage erhoben werden. In jedem Fall sollte hierfür ein erfahrener Anwalt hinzugezogen werden.

Achtung: Betroffene können nur binnen eines Monats ab Zugang des Bescheids der Bundesagentur für Arbeit, mit dem die Ruhenszeit angeordnet wird, Widerspruch erheben. Versäumen sie diese Frist, gibt es in der Regel kaum noch Chancen, sich gegen die Anordnung der Ruhenszeit zu wehren.


4. Fazit


Die Anrechnung einer Abfindung auf das Arbeitslosengeld I bedeutet nicht, dass sich die Höhe der ALG-Zahlung verringert oder das Arbeitslosengeld nur für einen kürzeren Zeitraum ausgezahlt wird. Gemeint ist vielmehr, dass eine Ruhenszeit angeordnet wird und die Auszahlung später beginnt.

Eine Anrechnung der Abfindung droht, wenn das Arbeitsverhältnis früher endet als es bei einer ordentlichen Kündigung des Arbeitgebers der Fall gewesen wäre.

Gegen die Anordnung einer Ruhenszeit können Betroffene zunächst einen Widerspruch bei der Bundesagentur für Arbeit erheben. Hierbei ist die Frist von einem Monat ab Zugang des entsprechenden Bescheids zu beachten.



Quelle: Blogbeitrag von

Rechtsanwalt Dr. Ulrich HallermannDr. Ulrich Hallermann

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Arbeitsrecht

Telefon: 06241 / 48 381 38

E-Mail: info@kanzlei-hallermann.de


Rechtsanwalt Dr. Ulrich Hallermann berät in Worms und Mainz Arbeitnehmer und Arbeitgeber in allen arbeitsrechtlichen Fragestellungen.

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